Der Wolfacher „Engel“ als Flößerwirtschaft 06.2021

Hans Harter

„Langjährige treue Anhänglichkeit.“ – Der Wolfacher „Engel“als Flößerwirtschaft.

Mit dem Abbruch des alten „Engel“ in der Vorstadt verschwindet die letzte sichtbare Erinnerung an einen der ältesten Wolfacher Gasthöfe, der schon 1650 bestand. Im 18. Jahrhundert war Anton Keller „Engelwürth“, und in seiner Familie blieb er, als Schild- und Weinwirtschaft, bis 1882.Damals gab Wilhelm Keller das Lokal auf und zog weg, nicht ohne seinem „bisherigen Heimatshaus“ in der Zeitung „ein Lebewohl“ nachzurufen.

Von Hans Harter

Im September 1877 logierte hier für einige Tage, von Triberg und Gutach kommend, der damals berühmte jüdische Schriftsteller Berthold Auerbach (1812 bis 1882). Mit seinen„Schwarzwälder Dorfgeschichten“ hatte er die literarische Gattung der „Dorfgeschichte“ begründet. Auf Reisen, teilte er seinem Freund und Verwandten Jacob Auerbach brieflich Beobachtungen und Erlebnisse mit, so auch aus dem Wolfacher „Engel“: „Eben, da ich schreibe, klingt das Posthorn vor dem Hause vom Wagen, der nach Schiltach fährt. Mir gegenüber ist die Einbindstätte, wo die einzelnen Flöße für die Fahrt nach dem Rhein zusammengebunden werden. Es ist ein erfrischender Anblick, die starken Männer arbeiten zu sehen.“ 

Abends saßen sie in der Wirtsstube am langen Tisch, „frisch gekleidet und gewaschen“. Ihre Flößerstiefel hatten sie ausgezogen und „waren in Strümpfen“. Auch fiel Auerbach auf, dass sie beim Essen und Trinken „still und bedächtig“ waren, wobei jeder „eine große Flasche Wein“ vor sich hatte. „Es waren Kraftgestalten, aber auch ganz junge, frische Bursche dabei.“ Beruhigend erklärte der Wirt, dass man sienachts vom oberen Stock „nicht hören“ würde. Und tatsächlich: „Der große Floß von gestern ist fort, um 4 Uhr heut früh ging er schon ab mit den Männern.“

Es waren Flößer aus Schiltach, die auch in Wolfach auf dem Bach schafften und über Nacht blieben, etwa, wenn sie bei Niedrigwasser einzeln herabgeflößte Gestöre auf dem Brückenwaagteich, direkt am “Engel“, zusammenbanden.Hatten die Schiltacher ihren „roten Joos“ mit dabei, dürfte ihr Tun in Wolfach aber nicht ganz so „still“ verlaufen sein, wie Auerbach es schildert. „Den Roten“ kannte man, so seinSchriftstellerkollege Heinrich Hansjakob, als den „derbsten“, „seine Haare leuchteten schon weither, wenn er auf dem Floß daher fuhr“.

Er ging keinem Streit aus dem Weg, auch nicht mit dem Wolfacher Seifensieder und Schiffer Theodor Armbruster, dessen Floß er einmal in die Flanke fuhr und ihn noch beschimpfte: „Was willsch denn dau, dau liedrigs Soafesiederle, dau? Gang huam un mach‘ Soafe un Liachter!“ Den Ruf der Flößer als grober Menschenschlag bestätigteAuerbach zwar nicht, doch war der „Engel“, wo er jene Flößer erlebte, damals das Standquartier der Schiltacher: Bei der Geschäftsaufgabe 1882 dankte Wilhelm Keller mit einem„besonders herzlichen Lebewohl der verehrlichen Schifferschaft in Schiltach für ihre langjährige treue Anhänglichkeit“.

Auerbach selber sah bei seinem Aufenthalt 1877 in Wolfach noch eine andere, folgenschwere Veränderung: „die Eisenbahn sich aufschließen“. Ihr Bau von Hausach her stand kurz vor der Vollendung, und „bald wird die Lokomotive hier pfeifen und das Posthorn wird nur noch in Seitentälern klingen“. Anders als Heinrich Hansjakob, der damals eine ganze, ländlich-sittlich geprägte Welt zusammenstürzen sah, hielt Auerbach es jedoch für „eitel Romantik, darüber klagen zu wollen“. Trotzdem schwingt auch bei ihm ein Bedauern mit, dass das „eigentliche Flözerleben bald verschwinden wird“. Dazu gehörte auch der Wolfacher „Engel“, wo man es noch so gut erleben konnte und der für die „Flözer“ seinerseits ein „Heimatshaus“ war.

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